Parallelwelt

Nur einen Steinwurf entfernt von unserem beschaulichen kleinen Leben auf der südlichen Mainseite, mit zwei friedlichen Katzen, netten Nachbarn und blühenden Altbauvorgärten befindet sich auf der anderen Mainseite ein Mikrokosmos mit komplett anderen Lebensinhalten. 
Am Freitag Abend hatten wir das große Vergnügen einen Blick vor und hinter die Kulissen des Frankfurter Rotlichtmilieus zu werfen. Zu Kais 50. bekam er von seinen Geschwistern zwei Gutscheine für einen der zahlreichen Stadtevents geschenkt, der sogenannten „Red Light Tour“ durch das Frankfurter Bahnhofsviertel. Geleitet wurde die Tour von Ulrich Mattner, und der hat das wirklich sehr toll gemacht. Man hatte nicht das Gefühl, Teil eines abwaschbaren Touristenprogramms zu sein, sondern bekam einen echten Einblick in die Materie. Er selbst lebt in diesem Viertel und wird überall gegrüsst und anerkannt. 

Angefangen hat die Tour in der St. Tropez Bar, in die man nur reinkommt, wenn man unten klingelt, man gelangt dann in die oberen Räume und befindet sich inmitten einer grölenden Fußballer-Hooligan-Meute, die ganzkörpertätowierte Türsteherin empfing uns mit einem freundlichen, warmherzigen Lächeln und es gab bei einem Glas Sekt erst mal einen kleinen semiprofessionellen Diavortrag mit allerlei Hintergrundwissen über die unterschiedlichen Geschäftsmodelle des Rotlichtviertels. Erst jetzt habe ich wirklich verstanden, wie so ein Bordell funktioniert, und welche Rituale es einer Animierbar einzuhalten gilt. 
Anschließend gab es eine leckere Currywurst mitten im Kiez, gefolgt von einem Backstage Besuch im Puff. Wir waren in der Kantine und konnten dem Bordellbetreiber aus dem Balkan alle Fragen stellen, die man eben so hat, wenn man auf der anderen Seite des Mainufers wohnt. Es gab Einblicke in die aktuelle Preisentwicklung und die scheinbare Normalität, die in dieser Welt existiert. Ob dem allem so ist, ob es wirklich so harmlos ist, ich weiß es nicht. Ich war jedenfalls sehr froh, das Haus anschließend wieder verlassen zu können. Nach dem Gespräch konnten wir noch die Sicherheitszentrale besichtigen, wo wir auf den zahlreichen Überwachungsmonitoren Zeuge wurden, wie die zumeist sehr jungen Männer, in Verhandlung mit den leicht bekleideten Damen traten. 

Später haben wir dann noch zwei der sogenannten Animierclubs besucht. Wir wurden überall freundlich empfangen, durften echten Poledancerinnen zuschauen (wirklich sehr beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit man sich an einer solchen Stange bewegen kann!) und es gab sogar einen echten Männerstrip zu sehen. Holla die Waldfee. Es war auf jeden Fall hochinteressant, dem Treiben direkt zuzuschauen, wie sich die Männer von den blutjungen Damen einlullen lassen, nur um dann für ein paar Minuten ins Separée zu dürfen, alles in allem für eine Flasche Schampus, die je nach Lust und Laune zwischen 300 und 1000 Euro kosten kann. Verrückte Welt. 

Gegen Mitternacht verließen wir fröhlich das bunte Ambiente über den Holbeinsteg, in unsere kleine, immer ruhiger werdende Parallelwelt. Schon komisch, zu wissen, daß Abend für Abend in unmittelbarer Nähe von uns immer der gleiche Film abgeht. 

Fazit: Die Tour ist uneingeschränkt empfehlenswert, es hat großen Spaß gemacht. 

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