Minutenglück

Wenn man gleichzeitig lacht und weint, bekommt man einen Regenbogen im Kopf. Dies ist mein neuer Lieblingsspruch … und passt zufälligerweise exakt zu meiner aktuellen Stimmungslage.

Ich sitze gerade in Zug Nr. 2 auf dem Weg zurück in die große Stadt. Wie immer fällt mir so ein Abschied schwer, und gleichzeitig ist da auch die unglaubliche Vorfreude auf meinen Mann und die beiden süßen Stubentiger. Bin so gespannt, wie sie gewachsen sind.

Die letzten 6 Wochen waren intensiv und wertvoll, wie nachhaltig sie sein werden, das wird sich Zuhause zeigen. Aber ich bin momentan voller Zuversicht, dass ich einiges in den Alltag hinüberretten kann. Das Element Sport hat mir wahnsinnig geholfen. Jeden Tag habe ich mich bewegt, wirklich jeden Tag, vielleicht eine Portion kleiner soll das auch Zuhause so sein. Ob Radfahren oder Laufen, Wandern oder Yoga. Diese Sachen machen mir am meisten Freude. Aber die sogenannte Bewegungstherapie hat auch viel Spass gemacht. Das war wie früher beim Schulsport, wir haben uns in der großen Sporthalle getroffen und jedes mal irgendein Spiel gemacht. Dabei wurde so viel gelacht. Das war herrlich. Aber auch die Entspannung bei der Massage oder der Wärmepackung war toll. Nicht zu vergessen, das therapeutische Bogenschiessen. Eine tolle Übung zur Körperhaltung und Meditation. Vollste Konzentration und tiefes Atmen.

Leider viel zu kurz gekommen, ist der psychotherapeutische Ansatz hier. Fast zynisch in einer psychosomatischen Reha. Aber da hilft auch das viele Jammern nicht, dem so viele Patienten hier verfallen sind. Wir können es für den Moment sowieso nicht ändern. Es gibt zu wenig Therapeuten, warum das so ist, kann man nur orakeln. Bringt aber nix. Ich habe dennoch viel Kraft geschöpft, aus tollen Gesprächen mit den anderen Patienten, aus den Bergen und der Natur, aus dem kreativen Arbeiten und natürlich auch aus den wenigen Therapiestunden, die ich hatte.

Heute morgen wurde zum Abschied überall geherzt und umarmt. Es hat lange gedauert, bis ich den Frühstückstisch verlassen konnte. Schade, dass man so viele Leute niemals wiedersehen wird. Aber man bleibt realistisch. Ein paar wenige Telefonnummern habe ich und meine liebe Tischnachbarin werde ich sicher bald wiedertreffen. Sind nur 1 Stunde und 10 Minuten mit dem Auto.

Toll ist auch, dass ich trotz immenser Futtermengen und vor allem Kuchen und Eis kein Gramm zugenommen habe. Da hat die Bewegung doch gute Dienste geleistet.Ich schlafe wie ein Murmeltier, heute Nacht bin ich nicht einmal aufgewacht. Einschlafen geht innerhalb von Minuten. Wäre das toll, wenn das auch so bleibt. In der Zeit vor der Reha und auch in den ersten Wochen, habe ich mir sehr schwer mit dem Ein- und Durchschlafen getan. Mal sehen, ob das so weitergeht. Das wäre überhaupt das tollste.

Mein persönliches Fazit, ich bin wieder glücklich, mag es nur eine Momentaufnahme sein … das ist egal. Was zählt ist der Moment

Wiedervereinigung

Am voletzten Freitag war es endlich soweit. Nach langen 4 1/2 Wochen bekam ich endlich Besuch von meinem Liebsten. Habe ich mich vielleicht gefreut, als ich kurz vor der Mittagspause aus der Beckenbodengymnastik kam und der Herr C. im Foyer auf mich gewartet hat. Minutenlang haben wir uns umarmt und hatten beide Tränen in den Augen, schließlich war das unsere bisher längste Trennung *seufz*. Ich habe ihn dann gleich mit zum Mittagessen geschleppt und stolz meinen Tischdamen vorgestellt.
Nachmittags sind wir mit dem Auto ins Tannheimer Tal gefahren und haben von Schattwald aus eine kleine Hüttenwanderung zur Stuibensennalpe unternommen. Dort war es so idyllisch, während wir Kuchen und Getränke verzehrt haben, liefen die Hühner und Ziegen um die Tische herum und der Himmel war strahlendblau mit ein paar vereinzelten Schäfchenwolken. Einen Kaiserschmarrn gab es leider nicht, schade.

Samstag war dann der grosse Tag, auf den ich lange gefiebert habe. Bereits zu Beginn der Reha hatte ich mir überlegt, daß ich mal zur Ostlerhütte auf dem Breitenberg hochlaufen will. Direkt von der Klinik aus. Per App habe ich eine Wanderroute zusammengestellt und der sonnige Samstag mit Mann war perfekt dafür geeignet. Alleine sollte man so eine Tour doch eher nicht machen.
Los ging es also gegen 9 Uhr direkt vom Haupteingang der Klinik in Richtung Fallmühle. Das waren gute 5-6 Kilometer und weitgehend flach. Gemütlich liefen wir über breite Wanderwege und konnten uns noch im Schatten der Bäume entlang des Bachlaufs erholen. Direkt an der Fallmühle beginnt dann der Aufstieg. Es sind knapp 1000 Höhenmeter zu bewältigen, verteilt auf nur 4 Kilometer. Also ein wirklich recht steiler Aufstieg. Die Wege waren schmal und von Baumwurzeln und Geröll übersäht. Also nicht ganz ohne Anspruch würde ich sagen. Zumal meine bisher Höhenmeter mäßig anspruchvollste Wanderung im Taunus war und durch breite Waldwege mit knapp 600m Höhenunterschied ging. Aber mir war klar, ich muß das schaffen, wenn ich die Sache mit der Alpenquerung ernst nehme.

Sportlich gesehen habe ich hier im Allgäu nicht nur ordentlich Fitness und Ausdauer getankt, sondern auch wesentliche Erkenntnisse zum Thema Selbseinschätzung und Körperwahrnehmung gewonnen. So war klar, ich muss es langsam angehen und mit Bedacht, viel Trinken und keine allzu langen Pausen machen. Für Herrn C. war es ok, auch mal etwas langsamer zu laufen. Und was soll ich sagen, ohne größere Komplikationen sind wir nach ca. 4 Stunden oben auf dem Gipfel angekommen. Ein absolut wahnsinniges Gefühl, AlpenX ich komme. Jaja, ist mir schon klar, daß das noch gesteigert werden muß, aber es ging eben und konditionell war ich noch überhaupt nicht am Ende. Lediglich die Kraft in den Beinen hat etwas nachgelassen. Aber ich habe ja noch über 2 Monate Zeit für die Vorbereitung.
Oben in der Ostlerhütte angekommen gab es erst mal Verpflegung, lecker Kaspressknödel und frisch gebackener Kuchen, kalte Getränke und Milchkaffee. Auch wenn es schon wieder keinen Kaiserschmarrn gab, war es doch ein tolles Erlebnis.

Der Abstieg auf der anderen Seite des Berges war steil und rutschig, daher entschieden wir, die bequeme und knieschonende Variante zu nehmen und sind gemütlich erst mit dem Sessellift und dann mit der Gondel ins Tal gefahren. Von dort aus waren es dann nochmals ca. 5 Kilometer zurück zur Klinik. Ich fasse also zusammen:

Wanderung Nr. ??? 7?
Fachklinik Allgäu – Fallmühle – Ostlerhütte – Talstation Breitenberg
Gelaufene Kilometer: ca. 15
Höhenmeter: knapp 1000
Reine Gehzeit: ca. 6 Stunden

Fazit: Wandern ist ein tolles Erlebnis und ich will noch viel mehr davon

Schmetterlinge im Bauch

Komisch, es sind immer noch zwei Wochen, die ich hierbleiben darf, dennoch fühlt es sich ein bisschen wie Abschied an, denn zwei sehr liebgewonnene Menschen sind bereits wieder abgereist. Wir haben so viele tolle Gespräche geführt, und das werde ich wirklich vermissen. Aber gottseidank gibt es ja Whatsapp und da bleiben wir hoffentlich in Kontakt.

Kann mich gerade etwas schlecht konzentrieren, denn momentan findet die abendliche Hausführung für die Neuankömmlinge statt. Vier Wochen ist das bei mir nun schon her und ich weiß noch wie ich am Anfang etwas überwältigt war von der Fülle der Informationen. Die Klinik ist eingeteilt in fünf Bereiche, nach Buchstaben sortiert – von A-F. Ich wohne im Haus F, was verwirrenderweise direkt an Haus A grenzt. Wenn ich morgens zum Frühsport laufe, dann muß ich einmal quer durch die langen Gänge des Gebäudes und mache bereits meine ersten 500 Schritte des Tages. So kommt dann auch einiges zusammen bis zum Abend. Überall auf den Gängen hängen aufmunternde Schilder, die einen daran erinnern sollen, nicht über die langen Gänge zu meckern (meine Interpretation), sondern sich lieber über die zusätzlichen Schritte zu freuen. Für uns Psychopatienten ist Bewegung ja scheinbar eh die halbe Miete. Aber da ist wirklich was dran. Eben gerade war ich vor dem Abendessen noch eine dreiviertel Stunde im Kraftraum und habe meine Muckis trainiert. Danach könnte ich dann auch immer Bäume ausreissen. Es gibt so viel Energie. Außerdem habe ich diese Woche ein Anti-Zucker-Experiment gestartet. Wie das funktioniert? Ich esse keinen Zucker. Das stimmt natürlich nicht so ganz, denn Zucker ist ja überall drin. Gemeint ist eher das offensichtliche. Denn sehr zu meinem Leidwesen gibt es hier um die Ecke eine Eisdiele in echt italienischer Hand mit einem so zartschmelzenden Eis, daß ich in letzter Zeit fast täglich ein paar Kugeln gegönnt habe. Meine Tischnachbarin meinte nun, daß der viele Zuckerkonsum auch ein Grund für die ständige Müdigkeit sein könnte. Also probiere ich das jetzt mal aus. Heute ich bereits Tag 2 des Experiments und mal schauen, wie es klappt. Ich bin sehr gespannt.

Das Wochenende verlief sehr ruhig. Freitags war ich noch mal mit meinen Tischmädels in Füssen, dieses Mal mit dem Auto. Wir sind ein bisschen durchs Städtchen geschlendert und ich habe meine Influencer Qualitäten ausgespielt, in dem ich die Damen unbewußt in ein Handarbeitsgeschäft geleitet habe. Beide haben was gekauft und jetzt habe ich jemand, mit dem ich Abends stricken kann, ein Traum ;-)

Samstag war ich schon am Vormittag zwei Stunden mit den Nordic Walking Stöcken unterwegs. Irgendwie denkt man immer, daß das ja ein bisschen albern aussieht mit den Stöcken. Aber wenn ich hier eins lerne, dann, dass es einem grenzenlos Wurscht sein muß, was andere denken. Habe ich glaube ich schon erwähnt. Bin aber von dieser Erkenntnis nach 50 Lebensjahren immer noch schwer begeistert. In jedem Fall macht diese Art der Bewegung wirklich Spaß und man tut so viel für Hirn und Herz. Zufällig hat mich meine Walking Route mal wieder zu den Alpakas geführt, die habe ich ja mittlerweile bestimmt schon 6 mal besucht. Endlich war auch mal jemand da und ich durfte in den kleinen Hofladen, der den Stallungen angeschlossen ist. Dort war das Heiligtum aufgebart, ein ganzes Regal von frischgeschorener und in heimischen Betrieben gesponnene Alpakawolle in den Naturfarben der Tiere. Von jeder Farbe gibt es nur eine kleinere Menge und ich habe mich für eine caramelfarbene Wolle von Xanti entschieden. Eine wunderschöne Erinnerung aus lokaler Herkunft.

Sonntag war dann Ruhetag. Kein Sport und nur mässige Aktivität. Ich habe mal mein Zimmer etwas in Ordnung gebracht, etwas gestrickt, ein bisschen fern geschaut und nachmittags bin ich noch mal mit meiner Tischnachbarin zu meinem Happy Place geradelt, dem kleinen liebevoll angelegten Alpengarten weiter unten in Pfronten. Die Füsse an einem heissen Tag in den glasklaren Gebirgsbach zu halten oder in das hübsch angelegte Natur Kneipp Becken, was gibt es schöneres.

Noch dreimal schlafen, dann kommt mein Schatz. Ich freue mich so sehr darauf, vier Wochen haben wir uns nun schon nicht gesehen. Also jetzt mal echt, aber so lange getrennt waren wir seit unserem Kennenlernen im August von 7 Jahren noch nie. Aber so eine lange Trennung hat auch was schönes. Die Schmetterlinge fliegen wieder :-)

Einmal Füssen und zurück

Die Zeit geht wie immer viel zu schnell herum. Gleich zu Beginn meines Aufenthaltes hat meine Therapeutin festgestellt, daß sich in meinem Fall eine Verlängerung der Reha anbieten würde, ich hatte mir ein paar Tage Bedenkzeit auserbeten, mich dann aber dafür entschieden. Diese Zeit hier ist ein wahres Geschenk und tut mir sehr gut. Also wurde es beantragt, und überraschenderweise ist es ohne weitere Nachfragen genehmigt worden, so ist mein neuer Abreisetermin also nun der 17. Juli. Also noch über zwei Wochen darf ich hier sein.

Letzten Donnerstag habe ich eine wunderschöne Fahrradtour nach Füssen gemacht. Immerhin ist das eine Gesamtstrecke von knapp über 30 Kilometer, und wir sind hier nicht im flachen Norden der Republik. Ich wollte das schon die ganze Zeit ausprobieren, aber immer, wenn sich mal ein Zeitfenster auftat, hat es geregnet. Donnerstag war es eigentlich viel zu heiß, daher habe ich auch bis zum Nachmittag gewartet.
Gegen 16.00 Uhr bin ich losgeradelt in Richtung Weißensee, da gab es erst mal einen steilen Anstieg. Ich dachte, das schaffe ich sowieso nicht bis nach Füssen. Aber nach dem ersten Anstieg war ich ruckzuck am See und wenn ich dann schon mal so weit bin, kann ich auch weiterradeln. Vorbei ging es am schilfbewachsenen Seeufer mit traumhaftem Blick auf die Berge.
Nach knapp eineinhalb Stunden erreichte ich Füssen und hab mich einfach nur gefreut. Ein kleines hübsches Städtchen mit echtem Tourismus und nicht nur Kurgästen. Das war fein. Ich schloss mein Rad ab und gönnte mir erstmal einen Eiskaffee. Die Geschäfte waren gerade alle dabei zu schließen und ich schlenderte noch ein Weilchen gemütlich durch die malerischen Gässchen.
Gegen halb sieben machte ich mich wieder auf den Weg, dieses Mal fuhr ich weiter unterhalb von der ersten Strecke in Richtung Alatsee. Die Steigung bis zum See ging quer durch den Wald und war recht anstrengend. Als ich dann am See ankam, entschied ich kurzerhand nochmal reinzuhüpfen. Etwas umständlich zwängte ich mich unter meinem kleinen Handtuch in den Bikini und genoß den kühlen klaren See.

Ab dann musste ich noch knapp eine Stunde durch das teilweise in Österreich gelegene Vilstal radeln, bevor ich am Abend erschöpft aber glücklich wieder mein temporäres zuhause erreichte. Ich war so froh, nun endlich diese Tour gemacht zu haben. Die Erkenntnis, sowas auch komplett alleine genießen zu koennen, ist dabei unbezahlbar.

Altstadt Füssen
Haus am Lech
Stop am Alatsee
Rückfahrt durchs Vilstal