Fliegende Elefanten

Heute ist Sonntag, der 12. Juni, gerade haben wir die die Autobahnraststätte Secchia Ovest verlassen und bewegen uns weiter in Richtung des italienischen Südens. Neben uns lassen wir gerade Bologna links liegen und danach auch noch Florenz. Wir wollen noch ein Stückchen weiter runter, in die Nähe von Assisi.

Wir sind schon seit Freitag unterwegs und mittlerweile fühlt sich das alles schon wieder nach einem ausgewachsenen Sommerurlaub an. Das war so eigentlich gar nicht geplant.

Aber der Reihe nach: während des ersten Corona Lockdown hatte Herr C., ausgelöst durch einer Mischung aus Langeweile und Fernweh diverse Hotelübernachtungen ersteigert. Davon haben wir die letzten beiden Jahre bereits einiges abgearbeitet. Aber die Unterkunft in Assisi war noch offen. Da man so etwas ja nicht verfallen lassen kann, hatten wir ursprünglich einen Flug nach Rom gebucht und wollten von dort mit dem Mietwagen nach Umbrien fahren.

Irgendwie hat sich das aber komisch angefühlt, und da die Uebernachtungen von Sonntag bis Freitag eingetragen waren, haben wir uns sehr kurzfristig entschlossen, die beiden Wochenenden auch noch dranzuhaengen und mit dem Auto zu fahren.

Am Freitag sind wir also sehr frueh am Morgen losgefahren. Mit Ausnahme einer dreiviertel Stunde Wartezeit am Gotthard Tunnel sind wir gut durchgekommen und waren am frühen Nachmittag in Pellio. Der Ort, wo mein Schwiegerpapa geboren ist und wo die ganze Familie so viele Erinnerungen gesammelt hat.

Pellio liegt im schönen Intelvital kurz hinter der Schweizer Grenze. Eingerahmt ist das Tal linksseitig vom Luganersee und auf der rechten Seite vom Comer See. Ein perfekter Ausgangspunkt für tolle Entdeckungen … und wasvn soll ich ueber die oberitalienischen Seen noch schwadronieren. Wem es dort nicht gefällt, dem kann ich auch nicht helfen ;-)

Die Familie hat dort noch eine Ferienwohnung, die von allen gleichermaßen und regelmäßig genutzt wird. Wären es von der Strasse nicht 93 Stufen in die Wohnung, würde ich diesen Ort meinen Eltern gerne auch einmal zeigen.

Direkt nach der Ankunft wurden die Fensterläden geöffnet sowie Strom, Wasser, Heizung und Gas angestellt. Wir haben Tisch und Stühle auf dem schmalen Balkon arrangiert, beim kleinen Alimentari nebenan habe ich einen Liter Milch gekauft und so konnten wir uns mit einem frisch gebrühten Filterkaffee nach draussen setzen und die herrliche Aussicht genießen. Ich atme tief ein und freue mich, daß ich nach vier Jahren endlich mal wieder hier bin.

Am frühen Abend haben wir den neu umgezogenen lokalen Supermarkt (Spaccaprezzi) bewundert, und staunend festgestellt, dass die Preise fuer Pasta immer noch akzeptabel sind.

Im benachbarten San Fedele haben wir uns danach in eins der kleinen Cafés auf der Piazza entlang der kleinen Durchgangsstrasse gesetzt und das bunte Feierabendtreiben genossen. Zum gut eingeschenkten Aperol Spritz gab es wie immer reichlich Knabbereien. Das lieben wir einfach so in Italien. Aperitivo Zeit ist die beste Zeit des Tages.

Samstag hat uns der Cousin von Herrn C. mit seiner neuen Freundin besucht.  Er wohnt in der Nähe von Bergamo und das ist nicht ganz so weit weg. Zusammen waren wir essen in der Tenda Rossa. Dem Restaurant, wo wir immer einkehren, wenn wir mal hier sind. Das Essen ist einfach lecker.

Zuvor haben wir noch einen kurzen Zwischenstop an dem dunkelgrünen Haus gemacht. Das Haus liegt etwas weiter unten im Ort und man kann es immer vom Balkon unserer Wohnung aus sehen. Es ist das Eltern- bzw. auch das Großelternhaus der Familie C. Dort hat meine Schwiegerfamile nach der Rückkehr aus Brasilien fuer ein Jahr gelebt. Das war Anfang der 70er Jahre. Durch diverse Umstände hatte der Cousin Kontakt zu den jetzigen Bewohnern aufgenommen und einen kurzen Besuch angekündigt.

Und der Besuch dort war wirklich etwas Besonderes. Direkt an der Gartentür wurden wir so warmherzig empfangen und Herr C. fing direkt an, in Erinnerungen zu schwelgen. Der alte Steintisch, den der Papa damals gebaut hat steht noch da. Und die Tannen, die man vor vierzig Jahren als kleine Setzlinge aus dem Schwarzwald entnommen hat, dürften mittlerweile gut 15 Meter hoch sein.

Doch am schönsten war es, anzusehen, mit welcher Liebe und Fürsorge das alte Gemäuer wieder zum Leben erwacht ist. Der grosse Garten ist überall berankt und bepflanzt. Zwei braunweisse Kaninchen hoppeln im Hintergrund, es gibt ein großzügiges Gehege fuer die Schildkröten und einen Hühnerstall. Vor dem Eingang wedeln zwei in die Jahre gekommene Hunde mit dem Schwanz. Eine Katze, die mich ein bisschen an meinen guten alten Figo erinnert, sitzt auf dem Mauersims vor dem Haus und beobachtet neugierig die Eindringlinge.

Stolz wurden wir durch das Haus geführt und durften in alle Zimmer reinschauen. Ich erfuhr unter anderem, wie Zia Eugenia jeden Morgen die Steintreppen im Haus geputzt hat und diese im Winter direkt gefroren sind.

Mein Archtektinnenherz schlägt sofort ein paar Takte höher beim Anblick der Innenräume. In Gedanken lege ich sämtliche Fußböden frei und kalke die Wände, schleife und streiche die Holzarbeiten und überlege wie wir so ein Haus wohl einrichten würden.

Aber die jetzigen Bewohner haben es sich auch in allen Räumen gemütlich gemacht und man sieht, daß das Haus gelebt und geliebt wird. Es ist in guten Händen und das freut mich sehr. Für Herrn C. war das eine Reise in die Kindheit und viele Erinnerungen wurden wieder wachgerufen.

Später am Nachmittag waren wir noch  in Lanzo Belvedere, welches seinem Namen wirklich gerecht wird. Der Ausblick auf den Lago di Lugano war grandios. Und auch dort hat es mir ein Haus wieder besonders angetan. Die obere Station eines ehemaligen Funiculare, der direkt nach unten in die Schweiz führte. Hier erträume ich mir eine Terrasse mit dem fantastischen Blick und einem privaten Funiculare, mit dem ich abends noch mal in den See hopsen kann. Jaja, total unrealistisch, weiss ich, aber das ist ja meine Phantasie und da können Elefanten auch fliegen.

Heute morgen war ich dann auch fast ein bisschen traurig, als wir mit einem frischen Morgenkaffee auf der Terrasse saßen. Pellio hat sich aber auch von der allerschönsten Seite gezeigt. Nicht eine Wolke war in den letzten beiden Tagen zu sehen und die Temperaturen waren sehr angenehm. Hoffentlich kommen wir bald wieder hier her, denn im Kopf ist noch viel Platz für neue Erinnerungen.

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